Seite 187 - sommer-2011

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KNECHT RUPRECHT
Von drauß’ vom Walde komm’ ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichter blitzen,
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolch’ durch den finsteren Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an.
„Knecht Ruprecht“, rief es „alter Gesell
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt’ und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruh’n.
Und morgen flieg ich hinab zur Erden
denn es soll wieder Weihnachten werden.“
Ich sprach:“Oh lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist,
ich soll nur noch in diese Stadt,
wo’s lauter gute Kinder hat.“
„Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier,
denn Äpfel, Nuss und Mandelkern,
essen fromme Kinder gern.“
„Hast denn die Rute auch bei dir?“
Ich sprach:“Die Rute, die ist hier,
doch für die Kinder nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten.“
Christkindlein sprach:“So ist es recht,
so geh mit Gott, mein treuer Knecht!“
Von drauß’ vom Walde komm’ ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hierinnen find:
Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?.
Der STRANDLOOPER bringt in regelmäßigen
Abständen plattdeutsche Beiträge, um
unsere alte Sprache lebendig zu erhalten.
Zu Weihnachten ein Gedicht von Theodor
Storm (1817 – 1888) in der plattdeutschen
Übersetzung von Elfriede Lottmann,
Norden.