Seite 186 - sommer-2011

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Stimme, dass sie kein Mitleid wolle, gerade heute nicht. Sie
wollte mit den Jungen feiern, so wie immer, als ihr Mann
noch lebte. Ich sah mich um, ein kleiner Baum mit Kerzen,
alles liebevoll geschmückt, auf dem Tisch die
Weihnachtsgeschichte, aus der sie wohl gerade den
Kindern vorgelesen hatte, als ich in das Wohnzimmer ein-
brach.
Der Polizist schwieg. Auch ich sagte nichts mehr. Beide hin-
gen wir unseren Gedanken nach. Plötzlich Stimmengewirr
im Flur. Die Tür wurde aufgerissen, zwei Jungen stürmten in
den Raum – hinter ihnen der andere Polizist mit seinem
Reservekanister. Er lachte und sagte zu seinem Kollegen:
„Ich habe dir hier deine Söhne mitgebracht. Sie gehen dei-
ner Frau ganz schön auf die Nerven. Ich habe ihr verspro-
chen, dass sie bis zum Dienstschluss hierbleiben dürfen.
Du sollst aber pünktlich zur Bescherung da sein.“ Zu mir
sagte er: „Na, junge Frau, dann wollen wir uns mal um ihr
Auto kümmern, damit auch Sie noch pünktlich zur
Bescherung kommen.“ Sprachs, und schob mich aus der
Tür.
Ich warf noch einen letzten Blick auf meinen
Gesprächspartner, der mir zulächelte. Draußen vor der Tür
sagte sein Kollege zu mir: „Tja, da staunen Sie, was? Der
hat zwei prächtige Söhne. Adoptiert. Der Vater starb bei
einem schlimmen Unfall hier in der Nähe vor einigen Jahren
genau am Heiligabend. Aber daraus ist dann doch noch
eine richtige Weihnachtsgeschichte geworden. Wenn Sie
mal wieder hier vorbeikommen, werde ich sie ihnen gerne
erzählen.“
Eleonore Leufgen