2007



Der Edelstein im Töwerland

Wer das Töwerland mit dem Flugzeug ansteuert, wird - gleichgültig, aus welcher Himmelsrichtung er kommt - fasziniert sein von der schlanken Form unserer Insel, die wie ein Schiff im blauen Meer zu schwimmen scheint. Und mitten darin, eingefasst von schmalen Dünenbändern wie ein Edelstein glitzernd und leuchtend, der Hammersee. Ein einmaliges Erlebnis, das es nirgendwo sonst an der Nordseeküste gibt und deshalb Grund genug, die spannende Geschichte vom Entstehen dieser Naturschönheit zu erzählen.

Als die Petri-Flut am 22. Februar 1651 den Dünen- durchbruch vor dem alten Dorf, das etwa 300 Meter nördlich des heutigen Hammersees lag, einleitete, ahnte wohl kein Mensch, dass sich aus dieser Katastrophe eine über zweihundert Jahre währende Teilung Juists in Ostland und Westland ergeben würde. Noch weniger vorhersehbar war, dass in den folgenden Jahrzehnten weitere Sturmflutkatastrophen die Insulaner immer wieder zur Aufgabe ihrer neu errichteten Siedlungsplätze zwingen würden. Eine Folge des Durchbruchs war die völlige Übersandung des südlich des Dorfes gelegenen Weidegeländes, „Hammer“ genannt (eine im ostfriesischen Sprachgebrauch übliche Bezeichnung für niedrig gelegenes, feuchtes Weidegebiet), denn bei jeder höheren Tide strömte das Wasser durch das ca. 1 Km breite „Große Slop“ von Nord nach Süd und






wieder zurück. Sicherlich hätte die Katastrophe ver- hindert werden können, wenn die Insulaner sich mehr um den Schutz der Dünen gekümmert, Dünenvegetation abgehalten hätten.
1661 - Zehn Jahre nach dem ersten Durchbruch, der sich inzwischen auf ca. 1.500 m verbreitert hatte - Stein- und Holzresten bauten sich die Insulaner ihr zweites, sehr bescheidenes Gotteshaus am nörd- lichen Rand des Durchbruchs. Doch am 04./05. März 1715 zerstörte die Fastnachtsflut auch diese Ansiedlung.
Nun begann sich die Juister Bevölkerung zu trennen. Ein Teil zog zur "Alten Bill" nordwestlich des heutigen Naturschutzhauses, ein anderer in den Bereich des heutigen Loog. Mit Hilfe von Spendengeldern konnten in beiden Ortsteilen kleine Kirchen errichtet werden, die von Pastor Laurent Altman, dem Stammvater der ältesten Juister Familie Altmanns,






die seit 1704 auf der Insel ansässig ist, betreut wurden.
Bereits 1717 zerstörte die verheerende Weihnachtsflut, die allein in Ostfriesland 2.752 (auf Juist 28) Menschenleben forderte, die dritte Kirche im Billdorf. Aus behördlichen Bereisungsprotokollen der damaligen Zeit wissen wir, dass sich der Inseldurchbruch, in amtlichen Dokumenten „der Hammer“ genannt, allmählich zu einer Gefahr für den weiteren Bestand der Insel entwickelte. Doch Finanzmittel für eine nachhaltige Lösung des Problems durch umfassenden Neuaufbau von Dünen waren nicht vorhanden. Die Karte des Franzosen Atthalin von 1811 macht den Zustand deutlich.
Nach der Katastrophe von 1717 zog es die Juister Bevölkerung auf die Ostinsel, wo man bereits 1742 einen Friedhof angelegt hatte und 1779 die fünfte Inselkirche errichtete. Aber das Meer drohte weiter. Die Februarflut von 1825 spülte tiefe Priele in den Hammer, die so groß waren, dass Schiffe darin ankern konnten. Allmählich machte sich bei den Behörden Besorgnis breit, dass diese Prielbildung sich über das Watt hinaus bis zur Juister Balje fortsetzen und damit ein neues Seegat entstehen könnte. Deshalb begann man den natürlichen Sandstaub von Westen her zu nutzen, indem man sog. „Flakten“, das sind Buschzäune zum Festhalten des Sandes, errichtete. Kleine Erfolge stellten sich zwar ein, aber






immer wieder zerstörten Sturmfluten das mühselig errichtete Menschenwerk.
Erst ab 1860, als die Erkenntnisse von der Schutzfunktion der Insel als natürliche Bollwerke für die gesamte Deichverteidigung der Küste sich allgemein durchzusetzen begann, entstanden erste Küstenschutzpläne, zu denen auch die Maßnahme zur Abriegelung des Hammer nach Süden enthalten war. Sie begann mit dem Bau eines Gesamtdammes von der Augustendüne südöstlich der alten Bill bis zur Südwestecke der Loogdünen und deren Bepflanzung mit Helm. Allmählich entwickelte sich daraus eine schmale Dünenkette, die als bogenförmiger Riegel den Hammer nach Süden verschloss und langsam zu einer Aufhöhung des Geländes führte. Die erste Darstellung des damaligen Zustandes liegt uns vor durch ein Gemälde aus dem Jahr 1875, das sich im Besitz von Frau Dine Altmanns befindet. Noch eindrucksvoller ist das Messtischblatt der königlichpreußischen Landes- verwaltung von 1892.
Jedoch schon bald musste man erkennen, dass die Abdämmung des Hammer nach Süden allein das


    





Problem des Insel- und Küstenschutzes nicht lösen konnte, denn immer wieder - besonders bei Sturmfluten - stauten sich die Wassermengen in der riesigen Hammerbucht, die ca. 450.000 m2 war.  Oftmals kam es dabei zu Durchbrüchen in den jungen 


    



Süddünen mit verheerenden Auskolkungen bis fünf Meter Tiefe. So entstand in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahunderts beim Wasserbauamt Norden der Plan, die Hammerbucht nach Norden ebenfalls mit einem Dünenwall abzuriegeln.
Natürlich waren die technischen Voraussetzungen der damaligen Zeit ungleich besser als in den vergangenen









Jahrhunderten. Loren auf Schienenbahnen konnten eingesetzt werden, sodass in zwei Jahren - von 1925 bis 1927 - ein ca. 1.800 m langes und ca. 80 cm hohes Fundament aus Sand entstand, auf dem lange Buschzäune aufgebaut wurden, die für ständige Sandzufuhr sorgten. Helmpflanzungen sicherten das Ganze. Dann besetzte man die Krone des Sanddamms erneut mit Buschwerk, bis eine Gesamthöhe von 4 m über dem Mittelhochwasser und eine Fußbreite von 20 m erreicht war. Die Böschungen verliefen flach. Seeseitig sorgten Buschschlengen, im Abstand von 10
m rechtwinklig zum Damm hinunter an den Strand gezogen, für eine kräftige Sandzufuhr. Die Natur half also mit, Ost- und Westinsel wieder zusammenzuflicken.






Es war ein Glücksumstand, dass Juist während der Bauzeit des Norddamms von schweren Sturmfluten verschont blieb. Aber 1928 durchbrach eine hohe Flut doch den Sandwall. Das Unglück geschah in der Nähe des Loog, da der Damm hier noch nicht die volle Höhe und Festigkeit hatte. Der erste Salzwassereinbruch in die Hammerbucht war da. Zwei Jahre später - 1930 - wiederholte sich die Katastrophe gleich mehrfach, führte zur Bildung eines tiefen Kolks, über den nun soviel Wasser einströmte, dass sich die gesamte Bucht füllte. Der Hammersee war geboren. Erst 1931 konnte man die Lücke durch künstliche Sandzufuhr schließen und den Hammerdeich insgesamt auf 5 m erhöhen.
Was aber geschah mit dem See? Allmählich lagerte sich eine Salztonschicht an seinem Grund ab und bewirkte eine Art Versiegelung. Außerdem verdunstete das Salzwasser, doch die Minderung der Wassermenge wurde immer wieder ausgeglichen durch Niederschläge. So ergab sich im Lauf der Jahre eine langsame Umwandlung des Salzwassers in Süßwasser. Ein Vorgang, der sich über mehr als zehn Jahre hinzog.






Rund um den Hammersee begann sich bald eine vielfältige Pflanzenwelt anzusiedeln, die der Inselbiologe Dr. Otto Leege ständig beobachtete und dokumentierte. Auch Vögel entdeckten das Gewässer schnell als Rastplatz und Brutgebiet, sodass die Behörden den Hammersee und die ihn umgebenden Dünen 1952 zum Naturschutzgebiet erklärten. Heute gilt die Region als Zone I des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, kann allerdings auf zugelassenen Wegen durchwandert werden.
Wie sieht nun die Zukunft des Hammersees aus, der mehr als 75 Jahre nach seiner Entstehung wesentlich kleiner geworden ist, nur noch eine Wassertiefe von etwa 80 bis 100 cm hat und von den Rändern her immer mehr verschilft? Wenn die Niederschläge nicht wesentlich geringer werden, wird es sicherlich






noch 50 Jahre dauern, bis aus dem heutigen See wieder ein Hammer - eine feuchte Wiese wie vor 1651 - geworden ist. Wir, die wir heute leben, sollten uns jedoch noch erfreuen an der Naturschönheit auf unserer Insel, am Edelstein im Töwerland.


Text und Repros: Hans Kolde