Kinderheime auf Juist 
 
Auf allen Ostfriesischen Inseln fand man bis in die späten 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine vergleichsweise große Zahl von Kinderheimen, teils mit privaten, teils mit kommunalen, verbandlichen, firmengebundenen oder kirchlichen Trägem. Da sie heute völlig von der Bildfläche verschwunden sind, ist es reizvoll, der früheren Bedeutung dieser Häuser nachzuspüren.
 In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg um 1920 herrschten in Deutschland erhebliche materielle, finanzielle und soziale Not (ein Zustand übrigens, der sich nach 1945 wiederholte). 
Viele Männer - oftmals Alleinverdienende für ihre Familien - aber auch Frauen, deren Ehepartner im Krieg gefallen waren, konnten ihren Kindern nur das Notwendigste bieten um das Überleben zu sichern. Krankheiten grassierten besonders in den Großstädten, die meist völlig zerstört waren. Medizinische Hilfen heutigen Standards gab es nicht. Hinzu kam ab 1945 die Not von Millionen Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, Polen und Tschechien. 
Kaum jemand konnte damals in Urlaub fahren und mit der Familie schon gar nicht. Das bisschen freie Zeit wurde gebraucht, um Wohnungen wieder herzurichten oder Lebensmittel  „zu organisieren“. 
Zu der Zeit machten sich viele, die Verantwortung in Staat und Gesellschaft trugen daran,  in Gebieten mit hohem Erholungswert nach Möglichkeiten zu suchen, wie man Kindern für eine gewisse Zeitspanne fröhliches und gesundes Leben schaffen konnte. Von den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen wurden damals Häuser gekauft oder gepachtet um dort mit einfachen Mitteln, aber in gesunder Umgebung Kindern bei ihrer körperlichen, aber auch geistig-seelischen Entwicklung zu helfen. 
Auf Juist war die Palette solcher Häuser besonders bunt und vielgestaltig. Die Bergwerksgesellschaft Hibernia betrieb in der Billstraße ein Haus für Kinder und Jugendliche ihrer Belegschaftsmitglieder, während die Stadt Münster in der Carl-Stegmann-Straße ein Haus getrennt für Jungen und Mädchen errichtete. In der Wilhelmstraße entstand das Kinderheim der Stadt Unna, während sich zwei Häuser in kirchlicher Trägerschaft befanden: Das Kinderheim Eckhart nördlich vom Inselhospiz und die Inselburg (der ehemalige Theaterbau der Schule am Meer).Eine umfangreiche Anlage war das älteste Juister Kinderheim Tilemann in der Hugo-Droste-Straße, dessen Gründung auf die Familie des Oberkirchenratspräsidenten Dr. Heinrich Tilemann zurückgeht. 
Eine Sonderstellung unter den Juister Kinderheimen nahm der Weberhof ein. Deshalb wird über ihn gesondert berichtet. Zu de~ weiteren Häusern in privater Trägerschaft gehörten das Kinderheim des Inselarztes Dr. Hoffmeier (heute: Haus Mutter Eva), das Schwalbennest im Loog , das seinen Betrieb zunächst im Eckhaus Loogster Pad/Störtebekerstraße (heute: La Toscana) aufnahm, später dann in die Hammerseestraße (heute: Kindergarten) übersiedelte, das Kinderheim Hörborn-Suhl im heutigen Loogster Huus und das Kinderheim Günther in der Wilhelmstraße (heute: Gemeindehaus der evangelischen Kirche). 
Mit dem fortschreitenden wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland verbesserte sich auch die soziale Situation für weite Kreise der Bevölkerung. Der Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Städte und Industrieanlagen schuf Arbeitsplätze und ständig wachsenden Wohlstand. Für jeden gab es wieder genug zu essen, und auch die ärztliche Versorgung nahm an Qualität zu, so dass sich der Gesundheitszustand - besonders von Kindern - immer positiver entwickelte. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang 
dem jungen Staat sogar die weitgehende Integration der nach Millionen zählenden Flüchtlinge und Aussiedler. 
Nun war der Zeitpunkt gekommen, wo Eltern wieder zusammen mit ihren Kindern Urlaub machen und solche Regionen besuchen konnten, die der Erholung besonders dienlich waren. Dazu gehörten natürlich die ostfriesischen Inseln mit ihrem vorzüglichen Heilklima besonders für Luftweg- und Hauterkrankte. 
Im gleichen Maße wie sich Pensionen und Hotels mit Familien füllten nahm die Belegung der Kinderheime ab. Außerdem stellte die Gesundheitsbehörde erhöhte Anforderungen an die Kinderheimbetreiber hinsichtlich Unterbringung, Hygiene und medizinischer Betreuung. Manche Häuser befanden sich in einem schlechten baulichen Zustand und bedurften dringend der Sanierung. Dies alles bedrohte die Existenz der Häuser und führte in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Schließung der Heime, die entweder verkauft oder für andere Zwecke umgebaut wurden. .- 
Medizinisch betreute Kinderkuren gibt es seit dieser Zeit nur noch in speziellen Kliniken wie z. B. dem Seehospiz auf Norderney, wo der Aufenthalt mindestens 6 Wochen dauert. Für Juist ging damals eine Entwicklung zu ende, die fast 50 Jahre lang das Wirtschaftsgeschehen, aber auch das Bild der Insel wesentlich mitprägte. 

 
 
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