Wie die Wintersaison begann

Noch in den Sechziger Jahren war es schon außergewöhnlich, wenn ein gastronomischer Betrieb seine Pforten über den 30. September hinaus geöffnet hielt. Die meisten Insulaner packten schnell ihre Sachen, fuhren in den Urlaub und kamen Ende Oktober zurück. Der ruhige Winter begann. Das Vereinsleben blühte. Zum Weihnachtsfest sah man kaum einen Gast. Die Juister Familien saßen geschlossen und gemütlich unterm Weihnachtsbaum. Die Älteren von uns, zu denen ich rechnerisch gehöre, erinnern sich gern an die Zeit zurück. Im Jahr 1970 wurde das neue Meerwasser-Wellenbad in Betrieb genommen. Längst nicht alle Insulaner waren für diesen Neubau. Der schöne weiße Juister Strand sollte alles herausreißen. Doch der Juister Rat und die Verwaltung planten für die Zukunft. Man erhoffte sich eine Belebung und Verlängerung der Saison. Auch wir waren für eine positiver Veränderung. In unserem Atelier-Cafe am Kurplatz (heute Baumanns), konnten meine Frau Renate (geb. Baumann) und ich, schon einen Aufwärtstrend feststellen und wir machten uns Gedanken darüber ob es sinnvoll sei, auch während der Weihnachtszeit zu öffnen. Eine ungeheuerliche Vorstellung! - Wir besprachen den Plan mit meinen Schwiegereltern, Renate und Edzard Baumann. Wie immer versagten sie uns ihre Unterstützung nicht. Doch einiges gab es zu bedenken: Da war zunächst das Heizproblem. Die meisten Heizungsanlagen auf Juist, waren für die Übergangszeit ausgelegt. So war es auch bei uns. Konnten wir die nötige Raumtemperatur beschaffen, wenn extreme Kälte eintrat? Musste zusätzliches Personal (mitten im Winter) eingestellt werden? Nein, wir mussten es klein beginnen, mit unserer eignen Arbeitskraft. Was war mit dem Wareneinsatz. Zum Beginn möglichst wenig verderbliche Ware. Alten Kuchen! Nein, mit ganz wenig Auswahl starten. Müssen wir unser Geschirr ergänzen, es war von der Saison her stark reduziert. Für ein paar Tage Geschirr hinzukaufen, was bis zur Saison herumstand. Nein, wir probieren es so!
Das Atelier-Cafe wurde weihnachtlich geschmückt und an einem Wochenende, 10 Tage vor dem Weihnachtsfest, eröffneten wir zum ersten Weihnachtsgeschäft 1970/71. Von einigen Insulanern wurde unsere Initiative belächelt. Noch nie waren so viel Gäste nach Juist gekommen um ein Cafe zu füllen. Leider sollten sie recht behalten, denn am dritten Tag nach unserer Öffnung wurden wir doch ziemlich mutlos. Das Geschäft war miserabel! Aber dann, am 26. Dezember dem 2. Weihnachtstag, kamen doch die Gäste. Erst zögernd, aber dann immer mehr. Zu der Zeit gab es nur wenige Eigentumswohnungen.  So war es doch erstaunlich, wie viel Gäste den Weg nach Juist fanden. Auch einige Vermieter hatten den Trend erkannt und hatten so volle Häuser, bzw. Hotels. Wir, in unserem Atelier-Cafe hatten reichlich zu tun und kamen je näher der Jahreswechsel kam, immer mehr ins Schwimmen". Renate hinter dem Tresen, musste auch für das Wohl der angeheiterten Bargäste sorgen. Ich war "Vorne", wie man so sagt und machte dort den Service. Meine Schwiegereltern in der Küche und Spülküche, sorgten unermüdlich für saubere Teller, Tassen, Bestecke und Teegeschirr etc.. Obwohl es nach Weihnachten anfing zu schneien, bekamen wir es warm genug. Die Gäste liehen sich unsere Schlitten und fuhren glücklich die Dünen hinunter. Einige Tage nach dem Jahreswechsel und mit Beendigung der Schulferien, war unsere erste "Wintersaison" auch schon beendet. Wir waren stolz als erster gastronomischer Betrieb unserer Art auf Juist, diesen Schritt getan zu haben. Den Gästen hat es damals sehr gut gefallen. Viele sind jahrelang nur während der Weihnachtszeit nach Juist gekommen. Wir haben sie immer gern begrüßt.
In den Folgejahren erhöhte sich dann das Angebot im gastronomischen, als auch im Vermietungsbereich kontinuierlich. Von anfangs einigen Hunderten sind heute Tausende Gäste geworden. Die Inselbahn musste einem modernen Hafen weichen und selbst bei Abbruch der Schiffsverbindung ist die Reederei in der Lage, unsere Gäste mit Flugzeugen zu befördern und zu versorgen. Auch das Meerwasserwellenbad ist einem modernen Erlebnisbad gewichen. Das sind Vorraussetzungen dafür, dass diese zarte Pflanze "Wintersaison" weiter gut gepflegt wird. Das letzte Weihnachtsfest, mit dem anschließenden Jahrtausendwechsel, war sicher der vorläufige Höhepunkt. Die Juister Gastronomen und Vermieter haben hier ihr Können unter Beweis gestellt und haben das mit viel Engagement getan. Der Lohn war die große Zahl zufriedener Gäste.

Dieter Brübach

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