Die Mimi

Auf Juist herrscht ein reges Kommen und Gehen: blasse, ausgepumpte Festländer werden begrüßt und Tage oder Wochen später als propere, energiestrotzende Juister auf Zeit wieder verabschiedet.
Was in der Zwischenzeit passiert ist, kennt wohl jeder Juisturlauber: das Kohlenmonoxid wird vom frischen Nordseewind aus dem Kopfgeblasen, die Seele wird richtig durchgelüftet und vom grauen Alltagsstaub befreit. Und wenn sich der Gast wie neugeboren vom Urlaubsort verabschiedet, stehen die nächsten Erholungsbedürftigen bereits vor der Tür. Was zwischen Abreise und Anreise passiert, kennt nun jeder Juister: der Wohnungs- bzw. Zimmerputz, in besonders hektischen Zeiten auch „fliegender Wechsel" genannt. Will heißen: die Betten sind noch warm, das Waschbecken noch nass und die eben abgegebenen Zimmerschlüssel schaukeln noch am Haken, da rückt der Vermieter schon mit Putzutensilien bewaffnet an, um in nur wenigen Stunden dem nächsten Gast das Gefühl zu geben, er sei der erste und einzige Bewohner dieser Zimmer. Fragen Sie zum Bespiel mal einen Juister Gastgeber, wie man Zigarettenqualm rasch zum verduften bringt oder in sekundenschnelle UFO 's ( Unbekannte Fett Objekte) aus Sitzmöbeln entfernt... denn solche Tipps und Kniffe gehören hier zum unentbehrlichen Allgemeinwissen. Jeder Juister hat auch seine speziellen Vorlieben, der eine wienert am liebsten die Nassräume blank während eine andere sich beim Fensterputzen so richtig perfektioniert hat. Doch Bettenmachen hin und Abstauben her: letztendlich muss alles picobello sein, dass ist klar. Auch ich habe meinen eigenen Putzstil gefunden und bin - ehrlich gesagt - immer heilfroh, wenn meine Bekannte mithilft, die so gern Kalkflecken entfernt. Diese Bekannte von mir ist ein echter Profi in Sachen Wohnungsputz, sie verdient sich ihre Mark damit, überall auf der Insel mit dem Feudel parat zu sein. 
 Einmal schwärmte ein Wohnungsbesitzer von ihr: sie ist schnell und zuverlässig und dabei beispiellos gründlich!  - Ja, dies konnte ich nur bestätigen. Doch er führte weiter aus: „Wissen Sie, ich hatte schon viele Putzhilfen für meine Ferienwohnungen, alle machten sie ihre Sache ganz ordentlich, aber diese Frau ist eine Perle. Wissen Sie, die meisten wischen hier und putzen da, aber sie war die erste, die auch mal die Mimi sauber gemacht hat, sie verstehen?" Ich nickte. „Und das gehört dazu, dass die Mimi sauber ist, oder nicht?" „Na klar," nickte ich wieder ;" es gibt fast nichts schlimmeres als eine dreckige Mimi. Das ist bei mir oberstes Gebot beim Putzen." Energisch präsentierte ich mich als die reinliche Gastwirtin, für die ich mich eigentlich auch halte. Aber heimlich fragte ich mich: Was um Himmels Willen ist eine „Mimi"  Und noch viel gravierender: Ist meine „Mimi" auch sauber  Oder reisen meine Gäste freundlich lächelnd ab, denken aber im Stillen: „ In dem Haus ist zwar alles ganz nett, aber die "Mimi' ist eine Zumutung?„
Jedes Mal wenn ich seitdem meine Ferienwohnungen putze, muss ich darüber nachdenken. Ist „Mimi" vielleicht die obere Türleiste, frage ich mich und kümmere mich intensiv um die Staubbekämpfung dieser doch sooft in der Eile vernachlässigten Stelle. Und wenn ich dem Fettfilm an der Dunstabzugshaubenbeleuchtung zu Leibe rücke, so hoffe ich auch, vielleicht hier für eine lupenreine 'Mimi 'zu sorgen. Auch die Unterseite des Waschbeckens mit den tückischen, nur im Sonnenlicht gravierenden Wasserflecken oder aber die Kleiderbügelstange mit ihrem schwarzen Belag kämen als 'Mimi' in Betracht. Und ich putze sie alle! Schaden kann es schließlich auch nicht. Inzwischen plädiere ich dafür, dass sich hinter „Mimi" die Klobürste verbirgt, oder deren Halterung im speziellen, oder vielleicht doch der Spülkasten...
Doch ich traue mich nicht, meine Mitbewerber danach zu fragen, vielleicht ist das Wissen um die saubere „Mimi" tatsächlich Allgemeinwissen und dann stehe ich als Schmuddelfink da. Aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher: meine „Mimi" ist sauber!

Sandra Lüpkes

 
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