Eine Geige
auf Juist
Ein Juister
erinnert sich
Zu Weihnachten 1953 wünschte
sich ein 10jähriges Inselkind eine Geige, eine komische Idee! Meine
Eltern hatten eine Pension und Gäste gab es schon genug. Also, ich
bekam tatsächlich eine Halbe Geige. Unser Lehrer Fritz Wilcken hatte
als Bereich seiner Ausbildung ein wenig Geige spielen gelernt. Er war bereit
mir Unterricht zu geben. Das machte er gut, obwohl Technik und Haltung
nicht ganz in Ordnung waren. Geschickt verteilt waren Übungen und
einfache Lieder, so daß mir die Sache Spaß machte. Die Familie
hatte Verständnis. Die erste Zeit mit der Geige kann durchaus körperverletzend
auf die nähere Umwelt wirken. Nur ein gutes Jahr hielt Herr Wilcken
seinen Vorsprung, dann meinte er selbst üben zu müssen, wenn
es mit uns weitergehen sollte. Es kam der Sommer, ich schlich um die einzelnen
Salon - Orchester herum, die in den verschiedenen Häusern angestellt
waren und auch, wie damals üblich, zum Tanztee auf den Terrassen der
Giftbude, der Strandhalle und des Kurhauses spielten. Ausgesucht hatte
ich mir den Stehgeiger der Strandhalle. Das war interessant mit dem Unterricht,
leider hatte er oft wenig Zeit für mich, weil die verschiedenen Damen
schon auf ihn warteten. Das konnte ich nicht wissen, ich hatte ihn ja wahrscheinlich
auch nur wegen seines guten Aussehens gewählt. Zum Ende des Sommers
bat mich ein Trio aus dem Kurhaus an ihrem Abschiedsabend im weißen
Saal mit ihnen ein paar Schlager zu spielen. Wir probten kurz und sprachen
den Ablauf ab. Ich bekam mein erstes weißes Hemd und die Sache wurde
gemacht. Ich erinnere mich an den letzten Schlager besonders. Wenn Du
nur nicht so schön wärst, so schön wie Du bist, hätte
ich längst eine Andere, eine Andere geküßt Aber weil
Du so schön bist, so schön wie Du bist, hab ich nie ......!!
Na, ja! Die Melodie war
entsprechend anspruchslos. Das Publikum grölte und schunkelte mit,
es war für mich nicht zu verstehen, für so ein dummes Zeug einen
derartigen Beifall zu bekommen. Die späteren Jahre auf der Insel sollten
mir die Mentalität der Rheinländer ja noch nahe genug bringen.
Dieser musikalische Sommer hatte mich etwas irritiert. Im folgenden Winter
merkte ich, daß man mit so einem Musikinstrument auf der Insel ganz
schön allein sein kann. Ich bemühte mich mit anderen zusammen
zu spielen. Mit unserem Musikerzieher Herbert Gentzsch, der Klavier spielte
und ein Cembalo hatte, machte gerade diese Besetzung besonders viel Freude.
Meist spielten wir alte Meister, die auch rhythmisch sehr übersichtlich
sind. Diese Zeit hat besonders für das Zusammenspiel eine besondere
Rolle gespielt. Ein neuer Sommer, es sollte richtig losgehen. Juist bekam
das erste Kurorchester. Eine Gruppe von Musikstudenten unter der Leitung
einer erfahrenen Geigerin der Göttinger Philharmoniker hatte diese
Aufgabe übernommen. Sie musizierten im Kurhaus, im Lesesaal des Rathauses
und im Freien auf der Bahnhofstreppe für die Gäste. Bald faßte
ich Mut, Frau Rhode anzusprechen, nachdem ich sie mit offenem Mund schon
mehrmals bestaunt hatte. Sie willigte ein, mir Unterricht zu geben. Wir
beide waren schon ein lustiges Gespann, diese kräftige Frau, eher
eine Walküre und ich mickriges Bürschlein. Sie ging ganz professionell
an die Sache heran. Mein Vater kaufte mir eine recht gute Mittenwalder
Geige. Frau Rhode boxte mir die fehlerhafte Haltung in wenigen Tagen aus
und wir verstanden uns sehr gut. Ich bekam Kontakt zu den Studenten, zu
denen übrigens auch der berühmte Hornist Baumann gehörte.
Jawohl!! Hermann Baumann auf der Juister Bahnhofstreppe! Jeden Tag war
ich mit den Musikern zusammen, bei den Proben, Auftritten und natürlich
am Strand. Ich durfte die Musiker zu Hause auch mit Bier usw. bewirten.
Das fand Anklang, zumal sie äußerst primitiv in einem Seitenflügel
des Kurhauses untergebracht waren. Frau Rhode lehrte mich bald die Töne
zu gestalten und wir übten kleine Bravour Stücke für die
Geige. Sie hatte immer Termine für Ständchen organisiert, wobei
wir dann bei privaten Festlichkeiten als Duo auftraten. Das machte natürlich
viel Spaß. Erst bei der Feier einer Silberhochzeit in unserer Nachbarschaft,
die weit in die Nacht ging, wurde mir klar, daß das leibliche Wohl
meiner Walküre wohl eine wesentliche Rolle in unserer Symbiose einnahm.Im
Herbst mußte es weitergehen, ich hatte gehört, daß es
in Norden einen Geigenlehrer gibt. Es war ein Schüler von Professor
Stross. Willi Zeckert hatte auch ein Ostfriesisches Jugendstreichorchester
aufgebaut. Bei ihm wollte ich Unterricht haben. Ich fragte den Schulleiter
Willy Troltenier ob ich alle 14 Tage, wenn die Tide es erlaube, morgens
nach Norden und abends zurück fahren dürfe und dafür jeweils
einen Tag Schulfrei bekäme. Herr Troltenier sagte zu meinem Erstaunen
sofort zu. So fuhr ich also nach Norden. Willi Zeckert legte Pleyel Duette
auf das Pult. Wir spielten ein längeres Duett vom Blatt. Danach entstand
für mich eine furchtbar lange Stille. Er sagte nur. Das war gut.
und schenkte mir spontan das Notenheft. So hatte ich mir das in meiner
ängstlichen Erwartung nicht vorgestellt. Es begann eine gezielte gute
Arbeit. Ich fieberte von Unterricht zu Unterricht, dessen Abstände
jetzt vom Mond gesteuert waren. Die Tagesfahrten begannen oft sehr früh,
so daß ich die Strecke von Norddeich nach Norden zu Fuß mit
meiner Geige ging. Das hatte ich schon begriffen, daß man die Musikerzeiten
einzuhalten hat. Auf dem Stundenlangen Weg wurde mir manchmal durch die
erstaunten Gesichter und das ständige Spötteln klar, wohl doch
in Ostfriesland ein Exot zu sein. In Norden übten wir ohne vorgegebene
Zeit, solange es Spaß machte. Nachmittags fuhr er oft mit mir mit
seinem schweren Motorrad recht rasant durch das verträumte Ostfriesland.
Die vorgefaßte Vorstellung von einem Geigenlehrer mußte ich
sofort revidieren. Nach zwei Jahren zog ich wegen der Ausbildung nach Heidelberg
zu meinem 10Jahre älteren Bruder um. Dort gab es musikalisch nun einfach
alles. Einen guten Lehrer, ein Schülerorchester und viele Freunde
zum Musizieren waren sofort da. Bleibt zu fragen: Warum will ein Kind so
zielstrebig Geige spielen lernen und organisiert sogar ganz allein die
Entwicklung trotz örtlicher Schwierigkeiten? Es können nur die
Erbanlagen dafür verantwortlich sein. Die Vorfahren meines Vaters
kamen fast ausnahmslos aus dem Erzgebirge und Böhmen. Da ist die Musik
sowieso zu Hause. In der Linie meiner Mutter geht es über Ostpreußen
und Salzburg nach Ungarn. Jawohl, Sie vermuten das Gleiche wie ich, - ein
Zigeuner hat sich dominierend in die Familie gemogelt. Das wäre auch
die Erklärung für die etwas verrückten oft dunklen und stark
behaarten Typen, die in jeder Generation, auch in der Folgenden, auftauchen.
Dieter Rother,
Juist |