Wann geht der Juister an den Strand?

„Wir haben den schönsten Strand der Welt, 17 Kilometer lang und buhnenfrei, von überall in nur fünf Minuten zu erreichen, wer hat das schon?“ So oder ähnlich gibt der Juister stolz Auskunft über seine Heimat. Dabei sieht man kaum mal einen Einheimischen jenseits der Dünenkette. Erst recht nicht im Sommer, wenn alle Welt einem die Strandnähe neidet. Es sind Gäste, die im Sommer auf den Liegestühlen liegen und nach Sonnenöl duften, die  sich festungsgleiche Burgen bauen und dazu stundenlang Meerwasser in Kannen füllen, um die sandigen Zinnen akkurat zu formen. Im Sommer putzt der Juister ständig seine Fenster, repariert Fahrräder und deckt den Frühstückstisch auf und ab. Der Sommer geht an ihm vorüber, der Strand geht an ihm vorüber. Im Winter dann atmet der Strand auf, er ist weiter und irgendwie auch dunkler und fester, es ist beinahe ein ganz anderer Strand als im Sommer. Nun sitzt der Insulaner Zuhause und putzt sich die Nase, repariert sein Gemüt und deckt den Frühstückstisch auf und ab. Und geht wieder nicht an den Strand. Und ganz ehrlich, wenn nun doch mal einer an der Driftkant entlangschlendert, so steckt zumeist ein Anflug von Melancholie dahinter, die Sehnsucht nach dem einfach-abhauen-können wird beim Rauschen der Wellen abgebaut, notfalls mit Urschrei in den tosenden Sturm geschrien. Und manchmal fühlt man sich dann wie gestrandetes Treibholz, vom Schicksal verschlagen auf eine Insel zwischen Luft, Sand und Wasser. Und wenn man dann wieder den Aufgang der Dünen erreicht hat, ist man sich sicher, an keinem anderen Ort der Welt besser aufgehoben zu sein als eben hier. Und doch kann es auch passieren, daß man Juistern am Strand begegnet, sogar auf Schritt und Tritt, komischerweise ist das aber im November und auf den Kanarischen Inseln. Da liegen sie dann auf ihren Liegestühlen und duften nach Sonnenöl. Und das, wo sie doch den schönsten Strand der Welt direkt vor der Haustür in nur fünf Minuten erreichen können.
Die Welt ist schon komisch.

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