Nachtflug
für Jessica
Eine neue
Ära in der Verkehrsanbindung unserer Insel an das Festland begann
im Juni 1959 mit der Zulassung eines Flugplatzes in Emden und der Gründung
der Ostfriesischen Lufttaxi Dekker und Janssen OHG – kurz „OLT“ genannt.
Nun war nicht mehr Bremen der nächstgelegene Landeplatz, sondern die
40 km von Juist entfernt liegende Seehafenstadt Emden. Dies hatte besondere
Auswirkungen auf die ärztliche Notversorgung der Menschen auf Juist,
wenn die Schiffahrt aufgrund der besonderen Tideverhältnisse im Watt
ausfiel, aber auch im Winter, wenn Eis das Fahrwasser blockierte. Jan Janssen,
einer der Firmenchefs und selbst erfahrener Pilot, machte am 30. April
1960 seinen ersten Krankentransport von Juist nach Emden. Hubschrauber
standen damals noch nicht zur Verfügung. Eine junge Frau, bei der
sich ein komplizierter Geburtsvorgang abzeichnete, mußte auf Anraten
des Inselarztes Dr. van Lessen schnellstmöglich in eine Festlandsklinik
überführt werden. Ein Schiffstransport kam nicht in Frage, denn
die Tideverhältnisse lagen so ungünstig, daß ein Schiff
frühestens 04.00 Uhr morgens die Insel verlassen konnte. Mit dem Eintreffen
der Patientin in einer Norder Klinik war also erst um 06.00 Uhr zu rechnen.
Deshalb wurde ein Lufttransport erwogen. Zwar waren die Wetterverhältnisse
günstig, gute Sicht und mäßiger Westwind, doch um 21.00
Uhr war Sonnenuntergang und ein Start auf Juist frühestens um 21.30
Uhr möglich. Weder die Flugplätze Juist und Emden noch der Pilot
hatten eine Nachtflugerlaubnis. Trotzdem erklärte sich Jan Janssen
bereit, den Flug zu machen. Die Aktion lief an. Mit aller Vorsicht wurde
die Patientin in dem erst wenige Jahre alten ersten Krankenwagen des DRK
zum Flugplatz gefahren. Aber eine Straße, wie wir sie heute kennen,
gab es damals noch nicht. Der holprige Weg führte durch das Hellergelände
am Fuß der Dünen entlang.
Pünktlich
um 21.30 Uhr trafen Krankenwagen und Lufttaxi – die erste Cessna 172 der
OLT mit dem Kennzeichen D-EJAP am Juister Flugplatz ein. Schnell war die
Patientin eingeladen und auf dem weit zurückgefahrenen und bequem
eingestellten Sitz angeschnallt. Dr. van Lessen hatte alle Vorsorge (auch
hinsichtlich der Bekleidung) für einen möglichen Beginn des Geburtsvorgangs
bereits an Bord getroffen und den Piloten für alle Fälle mit
einer Schere für das Durchtrennen der Nabelschnur ausgestattet. Um
21.45 Uhr, also bereits nachts im luftrechtlichen Sinne, hob die Cessna
ab. Jan Janssen, selbst Vater von zwei Kindern, stieg zur Sicherheit auf
eine Höhe von 1.000 Meter, um für den Fall des Einsetzens
der Wehen bei seinem Fluggast genügend Zeit für Hilfeleistungen
zur Verfügung zu haben. Aber es verlief alles gut. Die Landung in
Emden erfolgte bei voller Dunkelheit um 22.30 Uhr. Hilfe leisteten dabei
die Scheinwerfer von mehreren Autos am Beginn der Landebahn und Janssens
Frau Gertraud am Funkgerät. Am Flugplatz Emden, der – wie Juist –
auch noch nicht über eine Straßenverbindung zur Stadt verfügte
(nicht umsonst hieß das Gelände dort „Zum wilden Lande“), war
inzwischen der Krankenwagen eingetroffen, der die Patientin in die Klinik
brachte.
Um 02.00 Uhr kam nach einem
Kaiserschnitt ein kleines Mädchen auf die Welt. Es erhielt den Namen
„Jessica“.
Text und Foto: Hans Kolde
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Jan
Jannssen mit dem ersten Lufttaxi der OLT |