Ein Juister Leben

Es ist stürmisch, in Böen weht es stramme acht Windstärken aus Nordwest, wir schreiben den  25. Januar 1999. Im Haus „Angelika“  im schönen Ostdorf,  geht die Wirtin sorgenvoll in ihrer Wirtschaftsküche auf und ab, und immer wieder der schnelle Blick auf die Uhr. Am Fahrplan hat sie die Hochwasserzeit für den heutigen Tag und auch für die folgende Nacht ermittelt, und die Folgeschlüsse daraus gezogen. Die Hochwasserzeit ist hier an der Küste ein wichtiges Indiz – denn  Kinder kommen mit der Flut – meistens. Heute, am 25. Januar beginnt in der Redaktion die Arbeit am Artikel „ Ein Juister Leben“, und zwar der Teil mit dem alles Leben beginnt, der Geburt. Die Sorge von Frau H. Habbinga gilt Ihrer Tochter, die zur Entbindung nach „Deutschland“ gefahren ist, um im nahen Aurich ihr erstes Kind zu gebären. Bereits am letzten Donnerstag ist schon ein Juister Kind geboren, allerdings auf Norderney was sicherlich eine Besonderheit in unserer Chronik darstellt. Frau Elke Remmers wählte für Ihre Tochter Jessika diesen Geburtsort mit sehr viel Bedacht aus. Die vielen Arzttermine waren für die Bäckersfrau nicht einfach zu organisieren, Norderney hatte aber Wesentliches dem Festland voraus, Kinderarzt, Hebamme und Krankenhaus waren in einem Gebäude untergebracht – und bei der Terminabsprache war man auf unserer Nachbarinsel sehr flexibel und konnte auf die Wünsche der jungen Juisterin eingehen. So konnte Frau Remmers Ihre notwendigen Arztbesuche mit der „Wappen von Juist“ erreichen, und diese während des Inselaufenthaltes erledigen, zumindestens solange die „Wappen“ nach Norderney fuhr. Später wurden diese Termine auf die Doppeltiden gelegt um dann Juist – Norderney in einem Tag hin u. zurück zu erledigen.  Daß Jessika  den Geburtsort Norderney in Ihrem späteren Paß trägt, aus Juister Sicht ein Makel der besonderen Art,  wird sicher dadurch aufgewertet, daß sie auf jeden Fall eine Insulanerin sein wird. Wir werden Jessika in 15 Jahren danach fragen und darüber berichten. Auch für Frau Bockelmann, die Tochter von Frau H. Habbinga, war das letzte Jahr angefüllt mit ungewöhnlichen Terminen und vielen Tagesfahrten zum Arzt auf dem Festland. Das war wahrhaftig nicht immer einfach für die Frauen der Insel, zumal es auch eine große finanzielle Belastung darstellt. Am 25. Januar erblickte eine gesunde Inse Bockelmann das Licht der  Welt.
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Bis zum Jahr 1977 wurden Juister Kinder auch auf der Insel geboren. Dazu schreibt uns Frau Heidi Freese, geb. Armbrust aus Weener:„Nach der Ausbildung in Oldenburg begann ich 1967 meine Zeit als Insel Hebamme. Hanni Fischer, sie hatte viele Jahrzehnte den Juister Kindern auf die Welt geholfen, konnte in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Die Geburt von Frauke Eilers, am 18. Januar  ist mir noch in besonderer Erinnerung. Schneetreiben auf Juist, wie selten. Der Krankenwagen wäre fast in den Schneewehen stecken geblieben – ich hatte Angst die Geburt würde noch während dieser schwierigen Fahrt in`s Josefsheim einsetzen. Frauke hat aber doch gewartet und wurde, wie fast alle Kinder im Josefsheim geboren. Ein anderer Fall war die Geburt von Claas Stegmeier am 19. November 1973. Eine schwere Sturmflut fegte über die Insel und alle Autos der Feuerwehr, auch der „Sanka“ vom Roten Kreuz waren im Einsatz, um Sandsäcke zu transportieren. In letzter Minute kam dann doch der Transport vom Loog ins Dorf zustande, und Claas kam im Haus der Clemensschwestern zur Welt.“ Soweit der Bericht der letzten Insel Hebamme Heidi Freese, die in den 10 Jahren ihres Wirkens 76 Inselkindern mit auf die Welt half. Die Statistik auf unserem Inselstandesamt, die wir bis zum Jahr 1874 zurückverfolgen können, weist  für 1977 nur  zwei Geburten aus. 1417 echte „Inselkinder“ sind bis zu diesem Zeitpunkt hier auf unserer schönen Sandbank geboren wurden. Nach 1977 konnte das Juister Standesamt lediglich noch 4 Inselgeburten registrieren. Das heißt, daß in den letzten 125 Jahren 1421 Insulaner/innen geboren wurden. Das sind fast so viele Kinder wie die Insel heute Einwohner hat.