Steine am Strand

„ Hier geht es um die schönste Sandbank der Welt,- über 17 km feinsten Sandstrand,- keine Buhnen, keine Steine. Diese Überschrift kommt mir nicht in den Strandlooper! Öwerlech di wat anners.“
Reiner Behrends – ein Machtwort – und ich stehe wieder vor der Tür.
Ja, lieber Leser, unseren Strand lassen wir uns nicht schlecht machen.
Juist dat Töverland, sprich Zauberland. Das sind Strand und feiner Dünensand, dahinter duckt sich grünes Land. Strand, das ist der schönste Abenteuerspielplatz der Welt. Hier kann man Burgen bauen und gegen die Wikinger kämpfen, oder versuchen dem auflaufenden Wasser zu trotzen. So manche Nixe am Strand war Vorbild für ein Meerweib aus Sand.
Was findet sich nicht alles im Spülsaum,- vom Meer dort abgelegt. Hier kommt der Jäger und Sammler im Menschen zu seinem Recht.- Die kleine Birke, eigentlich zur Fahrwassermarkierung im Watt bestimmt, zeigt auf dem Sandturm an: Hier wohnen Menschen auf Zeit, bis sich Meer und Wind ihr Spielzeug zurückholen. Aber bis dahin wird gesammelt, gestaltet, modelliert und nur die Natur zeigt dem Künstler seine Grenzen.
Einen ganzen Urlaub nur Natur.
Eimerchenweise werden Muscheln zusammengetragen um damit die Kunstwerke aus Sand zu verzieren. 

Herz und Miesmuschel und..... was ist das für Eine?
Ein Bestimmungsbuch muß her und im Spiel am Strand wird, im wahrsten Sinne des Wortes, eine neue Seite aufgeschlagen. Jetzt sind die Muscheln nicht nur Spielzeug, nein, jetzt kennt man ihre Namen.
Ein Urlaub mit Sägezähnchen, Engelsflügel und Konsorten. Vom Dünenrand bis zur ständig wandernden Wasserkante, zeigt der Sammler jetzt was er kann. So ist ganz unbemerkt im Rhythmus von Ebbe und Flut der Urlaub vergangen. Die schönsten, die seltensten Fundstücke werden ins Eimerchen gelegt. Erinnerungen für zu Hause, Geschenke für Freunde. Alles Muscheln vom Juister Strand.—Alles Muscheln?
Ein schöner Tag.- Heute ist großer Wechsel, wie die Insulaner sagen, wenn eine Ferienzeit vorbei ist und eine andere beginnt.
In der Werkstatt forme ich gerade einen Stein, der für ein besonderes Schmuckstück bestimmt ist, als meine Frau mir zuruft, das mich jemand sprechen möchte.Als ich ins Geschäft komme, trifft mich und meine vom Schleifwasser bekleckerte Schürze der fragende Blick eines reisefertig gekleideten Mannes. Er hält ein zum Bündel geschnürtes Taschentuch in der Hand. Die neben ihm stehende Frau sagt: „Nun zeig doch schon deine Steine“.
In der Ahnung was da kommen wird, geht mein Griff nach einer Unterlage.- Zu spät,- auf der Glasplatte des Ladentisches machen sich etwa 20 bis 30 Steine breit. Schwarze, weiße, schwarzweiße und braune Steine.- Die zwei, offenbar zu dem Paar gehörenden Kinder drängeln von hinten: „Sind das nicht Bernsteine?“ Während ich die Steine auf einen Holzteller lege, meint die Frau die Antwort vorwegnehmend „Es hätte ja sein können“... „Bitte,“ unterbreche ich, „beurteilen Sie diese beiden Steine vom Gewicht her.“ Während jeder der Familie die fast gleich großen Stücke in die Hand nimmt, werden sie sich einig, daß es zwei sehr verschiedene Steine sind. So ist es auch, denn der leichte Stein ist Bernstein und die anderen sind Flintsteine. Die Augen der Kinder blitzen auf, Vater blickt mich fast erschrocken an, während von Mama ein stolzes „ Siehste“ kommt.
Hier ist die Erzählung nun zu Ende. Eigentlich sollte es eine Bernsteingeschichte werden, nun ist es eine Geschichte über Steine, Muscheln und feinen Sand geworden, über Spielzeug des Meeres und der Menschen.- Wenn Sie nun am Strand, besonders nach etwas stürmischem Wetter, hier und da auch mal einen Stein finden, dann nehmen Sie ihn in die Hand. Ist er leicht, könnte es Bernstein oder Kolophonium sein, beide versteinerte Harze, oder eben auch ein Flintstein, welcher aus Quarz besteht und sich nach und nach in Kalkstein gebildet hat. Das ist natürlich schon ewig lange her, und als die Eiszeiten kamen, hat das Eis die Steine auf und mitgenommen, um es dann an anderer Stelle beim Schmelzen abzulegen.
Was aber wurde aus unserer Urlaubsfamilie? Sie kamen das nächste Jahr wieder nach Juist und suchten die noch fehlenden Muscheln am Strand. Aus einem der Flintsteine entstand ein interessantes Schmuckstück und der Bernstein bekam ein Fenster, eine Fläche anpoliert. Schaut man durch dieses „Fenster“, geht der Blick rund fünfzigtausend Jahre zurück.
Steine vom Strand? – Zaubersteine vom Töwerland!
 
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