Als Berufsschullehrer
auf Juist
Die Berufsschule auf Juist
wurde mit Verfügung des Landrats vom 16. Dezember 1925 als „Ländliche
Fortbildungsschule“ errichtet. Im ersten Jahr des Bestehens wurden 37 Mädchen
und Knaben in zwei getrennten Klassen von nebenberuflichen Lehrkräften
in der Zeit vom 8. Januar 1926 bis Ende März unterrichtet. Der Unterricht
wurde von zwei Lehrern, einem Arzt und dem Gemeindevorsteher nebenberuflich
wahrgenommen. Im Herbst 1927 wurde eine Umbenennung in „Gewerbliche Berufsschule“
vorgenommen, weil keine landwirtschaftlichen Betriebe vorhanden waren und
weil nur gewerbliche Berufsschulen unterstützt wurden. Die Schulaufsicht
wurde von dem „Staatlichen Berufsschulrevisor“ ausgeübt, der im Hauptamt
Berufsschuldirektor in Norden war. Mit der Erteilung des Unterrichts und
der ehrenamtlichen Leitung der Berufsschule wurde der Diplom-Ingenieur
Franz Worch vom Bürgermeister beauftragt. Beschult wurden 63 männliche
und weibliche Jugendliche darunter 40 evakuierte. –Im März 1946 bekommt
Pastor Schmaltz für 20 abgehaltene Stunden 30RM aus der Gemeindekasse.
Der Unterricht findet bis Ende 1946 im provisorisch hergerichteten Lesesaal
im Rathaus statt, danach in einer Schulbaracke.
1.Juni 1947: 67 Schüler
und Schülerinnen
Der Schulleiter beklagt
sich im Jahresbericht 1948, daß der Schule, trotz wiederholter Meldungen,
von der Regierung keinerlei Unterstützung zuteil geworden sei. Von
1950 bis 1956 leitet Hauptlehrer Troltenier die Berufsschule nebenamtlich.
Er erteilt den allgemeinen Unterricht in vier Klassen (eine gewerbliche,
zwei kaufmännische und eine hauswirtschaftliche). Von 1956 bis 1959
übernimmt Architekt Cremer die Schulleitung. Die Verpflichtung von
nebenberuflichen Lehrkräften wird immer problematischer. Im Herbst
1959 erfuhr ich von dem Berufsschulrevisor für den Landkreis Norden,
Conrad Heeren, im Hauptamt Direktor der Städtischen Berufsschule Norden
(ab 1. April 1960 Kreisberufsschule Norden), daß auf der Nordseeinsel
Juist die Stelle eines Berufsschullehrers an der gewerblichen und hauswirtschaftlichen
Berufsschule Juist zu besetzen sei.
In der bundesweiten Anzeige
war unter anderem vermerkt, daß der Bewerber den Organisten an der
evangelisch - lutherischen Inselkirche unterstützen können
sollte. Im März 1960 – ich hatte inzwischen meine Staatliche Prüfung
für das Gewerbelehramt, Fachrichtung Baugewerbe, an der Pädagogischen
Hochschule für Gewerbelehrer Wilhelmshaven bestanden – wurde mir mitgeteilt,
daß ich am 1. April 1960 meinen Dienst als Gewerbelehrer anzutreten
habe. Unter anderen (dienstlichen) Ratschlägen gab er mir folgendes
mit auf den Weg: Die Obrigkeit hat im Laufe der überschaubaren Geschichte
mit Betrübnis feststellen müssen, daß Bedienstete der öffentlichen
Hand: Lehrer, Militärs, Pastoren, Polizisten, Postbeamte, Zöllner
(alphabetische Reihenfolge) und andere „Geschickte“ mit den besonderen
insularen Verhältnissen auf Dauer nicht zurecht gekommen seien. Nicht
wenige seien Alkoholiker geworden, andere Ehebrecher und Faulenzer, nicht
wenige dem „Inselkoller“ verfallen. Sollte ich dem Alkohol verfallen, Unzucht
mit Schülerinnen treiben und den Inselkoller (besonders im Winter,
wenn der Nebel nicht weichen will, der Schiffsverkehr stockt, die Stromversorgung
zusammenbricht und kein Telefonverkehr mehr funktioniert und nicht genug
Heizmaterial vorhanden ist und anderes) bekommen, könnte ich mich
in einem lichten Moment vertrauensvoll an die Bezirksregierung wenden.
Man würde mich ohne Aufhebens und ohne belastende Vermerke in der
Personalakte von der Insel herunterholen. Am 1. April 1960 begann ich mein
Amt. Mir wurde der Schulschlüssel für die ehemalige Volksschule
in der Hellerstraße (Westklasse) und das Dienstsiegel „der Leiter
der Berufsschule Nordseebad Juist“ mit dem Niedersachsenroß ausgehändigt.
Den ersten Schultag werde ich nie vergessen: In der ersten Reihe saßen:
ein Sparkassenlehrling im 3. Lehrjahr, ein Volksbanklehrling im 2. Lehrjahr,
ein Sparkassenlehrling im 1. Lehrjahr, eine Reiseverkehrskauffrau
im 3. Lehrjahr, ein Verwaltungslehrling (Umschüler). Dahinter Einzelhandelslehrlinge:
zwei Textil, ein Eisen- und Haushaltswaren, ein Papier und Spielwaren (verschieden
Lehrjahre). Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre hatte ich während
des Studiums gehört. Kaufmännisches Rechnen konnte ich mir beibringen.
Die kaufmännische Buchführung war für mich ein Buch mit
sieben Siegeln. Mit Hilfe der Schüler und Arens/Straube (einschlägiges
Buchführungswerk) habe ich die Zeit bis zu den Sommerferien überbrückt.
In den Ferien hat mir der Diplomhandelslehrer und spätere väterliche
Freund H. Wefer in einem Crash-Kurs die Grundlagen der doppelten Buchführung
beigebracht. Sparkassenlehrlinge wurden vor der Abschlußprüfung
in der Sparkassenschule Hannover auf Vordermann gebracht und bestanden
die Prüfung, die bedauernswerten Volksbanklehrlinge fielen vor der
Industrie- und Handelskammer - Prüfungskommission in Emden aus vielerlei
Gründen durch (unter anderem schlechter Buchführungsunterricht).
Ich habe den Kochlehrlingen in den Topf geguckt und mir in der „Schwarzen
Bude“ (Werkstatt der Reederei) die Bedeutung der Wasservorlage am Azetylenentwickler
erklären lassen, habe die Weberlehrlinge am Webstuhl beobachtet, Damenschneiderlehrlinge
bei meiner Kollegin Maria von Wieck, Gewerbelehrerin und Schneidermeisterin,
beim Nähen zugeschaut. Als plattsprechender Maurer, aus einem Baugeschäft
stammend, hatte ich keine Probleme, mit den Insulanern zusammenzuarbeiten.
Ich konnte der Gefahr, vereinnahmt zu werden, nicht entgehen: der Mitgliedschaft
im Männergesangverein folgte die Mitwirkung in der Theatergruppe des
Heimatvereins, deren Leitung ich letztlich von meinem väterlichen
Freund und Berater Willy Troltenier übernahm. Seiner Bitte folgend
habe ich einige Male den Nikolaus gespielt (verkleidet, hoch zu Roß).
Für die SPD zog ich in den Gemeinderat ein und wurde schließlich
auch noch zum Schiedsmann ernannt. Mit Gleichgesinnten habe ich den Turn-
und Sportverein Juist gegründet, war bis zu meinem Weggang Vorsitzender
und geprüfter Fußballschiedsrichter. Durch den Neubau der Inselschule
in einem Dünental westlich der Schule, war 1957 ein Klassenraum in
der alten zweitklassigen Volksschule aus der Jahrhundertwende der Berufsschule
zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestellt worden. Der alte Kanonenofen,
der von der im Schulgebäude wohnenden Hausmeisterin beheizt wurde,
konnte den Raum normalerweise gut warmhalten. Bei heftigen Westwinden zog
es jedoch ganz erheblich durch die altersschwachen Fenster. Die Klappwandtafel
(1,2 Quadratmeter) genügte meinen Anforderungen nicht. Neben dem (fast
leeren) Lehrmittelschrank gab es Tische und Stühle, auf deren Sitzflächen
sich etliche Schülerinnen die dünnen Strümpfe zerrissen
haben. Die Gemeinde hat – nach anfänglichen Zögern – das Schulgebäude
mit großem Aufwand renoviert und modernisiert. Als ich im März
1971 Juist verließ, war die Westklasse zu einer modernen Schulküche
mit drei Küchenzeilen und modernen Haushaltsgeräten (Waschmaschine,
Geschirrspülmaschine und andere) ausgestattet worden. Die Ostklasse
war mit modernem Gestühl ( 12 Tische, 24 Stühle), einem Labortisch/-
Schrankkombination einer Doppelschiebe- Pylonenwandtafel (DIN A4 im Maßstab
10:1) sowie Regalen und Lehrmittelschrank ausgestattet. Der Bürgermeister
persönlich (Dr. Wiers, CDU) und ich hatten die Gardinen ausgesucht.
Der Toilettenbau war erneuert und mit modernen WC- Anlagen ausgestattet
worden. Außerdem gab es ein schönes Lehrer-/ Lehrmittelzimmer.
Von Ostern 1960 bis Ostern 1971 wurden an der Schule je Schulwoche in vier
Berufsschulklassen 32 Unterrichtsstunden erteilt ( Conring 28 Stunden,
M. von Wieck, Gewerbelehrerin, vier Stunden): die hauswirtschaftliche Klasse
am Montag und Mittwoch, nachmittags je 4 Stunden, die gewerblichen und
kaufmännischen Klassen, ganztägig je 8 Stunden
(Dienstag, Donnerstag und
Freitag).
Lehrlinge folgender Berufe
sind von Frau M. von Wieck (Hauswirtschaft) und mir (gewerbliche und kaufmännische)
auf die Lehrabschlußprüfung vorbereitet worden: Hauswirtschafterin
(städtische), Einzelhandelskaufleute (Lebensmittel, Textil, Eisen-
und Haushaltswaren, Papier- und Spielwaren, Drogerie), Reiseverkehr, Bank
und Sparkasse, Apothekenhelferin, Hotel- und Gaststättengehilfin,
Koch, Kommunalangestellte, Arzthelferin, Friseur, Schneiderin, Handweberin,
Maurer, Zimmermann, Maler, Maschinenschlosser, Klempner, Heizungsbauer,
Sattler und Polsterer, Tischler, Elektriker, Fotograf, Fotolaborant, Bauzeichner,
Bäcker. Die Ungelernten ( Hausmädchen, Laufjungen und andere)
stellten den größten Anteil der Gesamtschülerzahl. Ich
habe meine Schülerinnen und Schüler mit Lehrabschlußprüfungsaufgaben,
die mir freundlicherweise von der Kreishandwerkerschaft Norden, von der
Industrie- und Handelskammer in Emden und von der Kreisberufsschule in
Norden zur Verfügung gestellt wurden, intensiv auf die Prüfung
vorbereitet. 1972 wurden alle Inselberufsschulen (bis auf Borkum) geschlossen.
Johann Conring, Norden |