Die große Weihnachtsflut
Im Jahre 1651 kam die sogenannte
Petriflut, eine der schwersten Sturmfluten in der Geschichte Juists. Sie
brach die Insel in Höhe des heutigen Hammersees in zwei Teile. In
den folgenden Jahren ließ die See die Juister nicht in Ruhe, bis
sie schließlich ihre Häuser abbrachen und zu beiden Seiten des
Hammerdurchbruches neu aufbauten.
Doch unsere Geschichte spielt
weit später, genauer in den Weihnachtstagen des Jahres 1717.
Wieder einmal sollte es
ein stürmischer Winter werden, drohende Sturmböen jagten über
die zerzauste Insel. Besorgt blickten die Juister über die Dünen
zum Hammerdurchbruch hin, wo ihre Boote lagen. Der tückische Nordwestwind
trieb das Wasser hoch auf den Strand. Welle um Welle kratzte an den schon
seit Jahren schwer beschädigten Dünenrändern. Als der Wind
Orkanstärke erreichte gingen die Männer an den Strand um ihre
Boote in den Schutz der Dünen zu ziehen. Sorgenvoll blickten sie über
die tosende See zum Himmel hinauf, aber dort war kein Lichtblick zu sehen,
der eine Besserung versprach.
Der Heilige Abend kam, der
Sturm steigerte sich immer mehr. Heute wollte man sich im Westteil des
Dorfes auf der anderen Seite des Hammerdurchbruches gemeinsam zu Gottesdienst
einfinden. Da man jedoch den Sturm aus den letzten Jahren gewohnt
war, und die Ebbe günstig lag, machten sich die Bewohner des Ostdorfes
am frühen Nachmittag auf den zum Gottesdienst. Trockenen Fußes
überquerten sie den Hammerstrand und erreichten wohlbehalten das Westdorf.
Hier stand die Hauptkirche, in der sich die Juister beider Ortsteile an
großen Festtagen versammelten, um die Heilige Messe zu feiern. Es
sollte ein schönes Weihnachtsfest werden, und man war froher Dinge.
Ein froher Gottesdienst vereinte noch einmal die Juister beider Dörfer.
Inzwischen war Niedrigwasser
vorüber, die Flut begann zu steigen und der Sturm nahm an Heftigkeit
zu. Die Insulaner waren inzwischen von der Kirche in die gemütliche
Geborgenheit der kleinen Insulanerhäuser gegangen, um den Abend mit
den Freunden und Verwandten aus dem Ostdorf in aller Ruhe ausklingen zu
lassen. Es wurden Geschichten erzählt, man erinnerte sich der Stürme
der vergangenen Jahre und saß noch lange beim gemütlichen Feuerschein
der Kamine und Öfen zusammen.
Bei einbrechender Nacht
machten sich die Ostdörfler auf den Heimweg. Bald schon verließen
sie die schützenden Dünen der Westinsel und erreichten den flachen
Hammerstrand. Die Flut stieg schnell und große Eile war geboten,
denn auf dem trockengefallenen Strand des Hammerdurchbruchs sollte bald
wieder die stürmische See das Regiment übernehmen. Sie hatten
fast den Saum der Ostdünen erreicht, da kam das Wasser. In wenigen
Augenblicken hatte es die kleine Schar überholt und eingeschlossen.
Es gelang keinem mehr, die nahen Dünen zu erreichen. Zur gleichen
Zeit überrannten die Wellen den schwachen Dünenwall des Westdorfes.
Völlig unerwartet brachen sie in die Häuser ein. Die überraschten
und entsetzten Menschen flüchteten auf die unversehrten Dünen.
Für fünf Häuser kam die Flut so überraschend, dass
sich nur einer der Bewohner retten konnte. Das Westdorf wurde fast vollständig
zerstört, keines der 18 Häuser blieb unbeschädigt, 9 von
ihnen wurden völlig zerstört. Die Kirche, in der die Menschen
noch vor wenigen Stunden zur Weihnachtsfeier versammelt waren, bot
einen trostlosen Anblick. Der Giebel und die Nordseite der Kirche waren
von den schweren Brechern zerschlagen worden, die übrigen Wände
drohten einzustürzen. Das Pfarrhaus war bis auf die Fundamente zerstört.
Genau weiß man nicht,
wie viele Menschen in dieser Nacht den Tod fanden, es wird von 28 Toten
berichtet, aber anderen Erzählungen zur Folge könnten es sogar
40 gewesen sein. Noch heute über 200 Jahre nach dieser schweren Sturmnacht
ist die Erinnerung an diese Weihnachtsflut in den Juistern lebendig.
Eines hatten die Juister
aber aus dieser verhängnisvollen Nacht gelernt, sie brachen ihre Häuser
ab und zogen weiter nach Osten. Dort, wo sich heute das Loog befindet bauten
die Verbliebene ihre Häuser wieder auf, und sind Gott sei Dank bis
heute von ähnlichen Sturmfluten verschont geblieben. |